Gesundheitslexikon
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Kinderlähmung epidemische

(»Polio«, Poliomyelitis anterior acuta, HeineMedinsche Krankheit). Erreger dieser Infektionskrankheit – die nicht nur Kinder, sondern ebenso auch Erwachsene befallen kann und die übrigens in vielen Fällen ohne eigentliche Lähmungen verläuft – ist ein Virus. Es findet sich im Nasenschleim der Erkrankten und in ihrem Stuhl und wird von hier aus – durch eine Tröpfcheninfektion oder unter ungünstigen hygienischen Verhältnissen durch verunreinigte Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände usw. – auf Gesunde übertragen. Nicht jeder Mensch, der die Erreger der Kinderlähmung
empfängt, wird durch sie krank gemacht; es gibt viele Menschen, die trotz einer Infektion mit den Erregern ges und bleiben oder nur ganz geringe, ihnen selbst kaum bemerkbare Krankheitserscheinungen, etwa einen leichten Katarrh der oberen Luftwege, bekommen. Auch durch eine so leichte Erkrankung sind diese Menschen dann oft für die Zukunft vor einer »richtigen« Kinderlähmung geschützt (weil diese erste Infektion zur Entwicklung von Abwehrstoffen führte, die ihnen auch für später erhalten bleiben). Es hat sich ergeben, dass die Erreger der Kinderlähmung am ehesten dann zu Krankheitserscheinungen führen, wenn der Organismus des Infizierten durch zuvor durchgemachte Anstrengungen etwas geschwächt wurde. Aus diesen Tatsachen ergeben sich wichtige Hinweise für das Verhalten während der Zeit einer KinderlähmungsEpidemie zur Verhütung der Infektion bzw. der Erkrankung: Das Vermeiden größerer Menschenansammlungen (Kino und Theaterbesuch usw.) schränkt die Möglichkeit ein, mit Trägern der Erreger in Berührung zu kommen. Besonders sorgfältiges hygienisches Verhalten (Händewaschen vor jedem Essen, gründliches Waschen von Obst und Gemüse, entsprechend vorsichtiges Verhalten bei Benutzung öffentlicher Toiletten usw.) schränkt die Möglichkeit ein, durch Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände, die mit den Erregern verunreinigt sind, infiziert zu werden. Vermeiden körperlicher und seelischer Anstrengungen verhindert eine Schwächung des Organismus, die dem Haften der Infektion den Boden bereiten kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Durchnässungen, sportliche Oberanstrengungen, Reisestrapazen usw. in Zeiten einer Epidemie tunlichst zu vermeiden. Seit Einführung der Schutzimpfung gegen die Kinderlähmung, besonders in der Form der Schluckimpfung, ist die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen an Poliomyelitis eindrucksvoll zurückgegangen. S. auch den Impfkalender im Stichwort Impfungen. – Der im folgenden geschilderte Krankheitsverlauf entspricht dem Geschehen bei Ungeimpften. Solche Krankheitsbilder sind heute selten geworden. Immerhin ist die Kinderlähmung noch nicht völlig ausgerottet. Wenn die allgemeine Beteiligung an den Schluckimpfungen wieder nachlässt, muss mit einem Ansteigen der Kinderlähmungserkrankungen gerechnet werden. 5o8 Da der Impfschutz mir höchstens fünf Jahre anhält, ist eine regelmäßige ’Wiederholung der Schluckimpfung nach jeweils fünf Jahren erforderlich. Das Krankheitsbild der Kinderlähmung stellt sich etwa so dar: Ungefähr 3 bis 14 Tage nach der Ansteckung treten die ersten Krankheitserscheinungen auf, die häufig nicht besonders charakteristisch sind und beispielsweise leicht mit einem Grippeanfall verwechselt werden können. Es bestehen Fieber, leichte Benommenheit, Gliederschmerzen, katarrhalische Erscheinungen der oberen Luftwege (Schnupfen, Bronchitis), oft starkes Schwitzen und eine allgemeine Hautüberempfindlichkeit. Am ehesten noch können das auffällig starke Schwitzen und die schmerzhafte Empfindlichkeit der Haut gegen leichte Berührungen, die normalerweise kaum wahrgenommen werden – vor allem natürlich in den Zeiten einer gerade herrschenden Epidemie –, den Verdacht auf den Beginn einer Erkrankung an Kinderlähmung wecken. Oft gehen die eben erwähnten Krankheitserscheinungen nach 23 Tagen zunächst wieder zurück; die Temperatur kann sogar für kurze Zeit bis zur Norm abfallen. Am 4. oder 5. Krankheitstage treten dann innerhalb weniger Stunden schlaffe Lähmungen auf, die vor allem die Bein und die Rumpfmuskulatur betreffen. Vorübergehend können Blasen und Mastdarmstörungen hinzukommen. Die Ausdehnung, die die Lähmungserscheinungen annehmen, ist von Fall zu Fall recht verschieden. Sie können sich auf einzelne Muskelgruppen an den Beinen beschränken, sie können aber auch, wie bekannt, sogar bis zu den Muskeln des Brustkorbs und des Nackens »aufsteigen« und dadurch die zum Atmen notwendigen Bewegungen des Brustkorbs lahmlegen. In diesen Fällen muss die Eiserne Lunge die notwendige Hilfe leisten. Die Eiserne Lunge ist ein großer, röhrenförmiger eiserner Behälter, in den der Kranke mit Ausnahme des Kopfes luftdicht gebettet wird. Durch automatische Verdichtung und Verdünnung der Luft innerhalb des Behälters wird eine Druck und Saugwirkung auf den Brustkorb des Patienten ausgeübt, die das gleiche bewirkt, als wenn ein Kundiger künstliche Atmung bei ihm ausführen würde. Auf diese Weise ersetzt die Eiserne Lunge die bei dem Patienten gelähmten Kräfte der Atemmuskeln. Welche Ausdehnung die Lähmungen erreichen, ist, wie gesagt, von Fall zu Fall sehr verschieden; in jedem Fall aber ist ihre größte Ausdehnung – und damit der Zeitpunkt der größten Gefährdung – meist schon nach 23 Tagen erreicht. und dann gehen sie im Allgemeinen – wenn auch sehr langsam – wieder erheblich zurück. Im günstigsten Fall können sie nach Wochen wieder vollkommen verschwinden. Bleiben auch später noch Lähmungen bestehen, so haben sie eigentlich immer einen wesentlich kleineren Umfang als auf dem Höhepunkt der Erkrankung. Wichtigste Maßnahme bei Beginn der Krankheit ist die völlige Bettruhe des Erkrankten – von dem Augenblick an, in dem die Diagnose gestellt ist oder auch nur der Verdacht besteht, dass es sich um eine Kinderlähmung handeln könne. Völlige Bettruhe schon vor Auftreten der ersten Lähmungserscheinungen scheint zur Verhütung ausgedehnterer Lähmungen beizutragen. – Sind Lähmungen eingetreten, so kommt es darauf an, den Kranken so zu lagern, dass die betroffenen Gliedmaßen behutsam und bequem abgestützt sind. Einzelheiten dazu muss der behandelnde Arzt anordnen. und er wird auch den Zeitpunkt bestimmen, von dem ab etwas später mit entsprechenden Massageanwendungen und noch später mit Bewegungsübungen begonnen werden darf. Die sorgfältige und fachmännisch geleitete heilgymnastische und orthopädische Nachbehandlung ist von ausschlaggebender Bedeutung für das schließlich zu erreichende Behandlungsergebnis. Mit einem langsamen Rückgang einzelner Lähmungen ist noch bis zu eineinhalb Jahren nach Krankheitsbeginn zu rechnen.

 

 

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